Westbalkan zum Zweiten – Kosovo und Montenegro
„Können wir mit Euro bezahlen?“ fragen wir die junge Frau an der Kasse des kleinen Ladens, wo wir Brot und ein paar Lebensmittel kaufen wollen. Die Frau schaut uns ein wenig verwundert an und öffnet die Kassenschublade – und die ist voller Euros! Peinlich! Tja, so kann es gehen, wenn man sich nicht über das Reiseland kundig macht. Wir sind gerade auf dem Weg nach Montenegro in einem kleinen Ort im Kosovo, als wir uns so blamieren.
Zwischenzeitlich haben wir uns natürlich kundig gemacht: das Land ist seit Juni 2009 Mitglied im Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbankgruppe. Seit November 2012 gehört es auch der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung an – und die Landeswährung ist der Euro!
In Peje, einer etwas größeren Stadt, trauen wir unseren Augen kaum – ein Laden am anderen, Bars und Restaurants und jede Menge Leben auf den Straßen. Trotz des nach wie vor schlechten Wetters. Für uns ist der Kosovo auf dieser Reise nur ein Transitland, um nach Montenegro zu gelangen. Denn im Norden Albaniens gibt es keine direkten Grenzübergang, wir hätten über Shkodër fahren müssen, was wir jedoch nicht wollten.
Über den Kula-Pass, dem einzigen Grenzübergang zwischen diesen beiden Ländern, wollen wir nach Montenegro reisen. Die gemeinsame Staatsgrenze ist eine reine Hochgebirgsgrenze. Sie verläuft in südwestlicher Richtung entlang des Hauptkamms des Dinarischen Gebirges. 2010 begann ein Projekt im Rahmen des Cross Border Cooperation Project (CBC) der Europäischen Union. Dabei wurde prinzipiell bekundet, die Grenze im Stand von 1974 beizubehalten, aber strittige Punkte in der genauen Grenzziehung aufzuarbeiten. So entstand hier am Kula-Pass wegen unklarer Verhältnisse ein elf Kilometer langes Niemandsland.
Diese Kenntisse haben wir zum Zeitpunkt unserer Reise noch nicht, deshalb sind wir sehr verwundert, wie weit die beiden Grenzstationen von Kosovo und Montenegro auseinander liegen. Aber dafür gestaltet sich der Grenzübertritt an beiden Stationen sehr relaxed!
Und wieder kommen wir in ein ganz anderes Land. Das Wetter hat sich sogar gebessert und so fühlen wir uns hier im äußersten Osten Montenegros fast wie in einer Mischung aus der Schweiz, dem Allgäu und dem Schwarzwald. Es ist bergig, zwischen Nadelwäldern tauchen kleinere Bergdörfer auf, die mitten in saftig grünen Wiesen liegen. Spontan gefällt es uns sehr gut hier. Auf der Suche nach einem Übernachtungsplatz fahren wir wieder einmal eine „weiße“ Straße. Diese Straßenkategorie hat uns schon öfters überrascht, mehrfach mussten wir auch bereits umkehren, weil aus der anfangs asphaltierten Straße ein Trampelpfad geworden war. So sind wir nun gespannt, wie es auf dieser, offensichtlich neu hergerichteten Route nach Kolašin aussehen würde. Und es sieht gut aus – bis die Straße in eine Schotterpiste übergeht und in einer Baustelle endet. Hier wird momentan ein Tunnel durch den Berg gebohrt, aber bis wann der fertig sein wird ist ungewiss. Also ist wieder einmal Umkehren angesagt…
Wir stehen am Straßenrand, studieren die Karte und überlegen, was wir tun sollen. Vor allem brauchen wir einen Übernachtungsplatz. Da kommt ein Bauer herbeigeeilt und fragt uns, ob wir nach Kolašin wollen? Mit unserem Auto könnten wir ruhig über den Pass fahren. Wo? Ganz einfach mitten in der Baustelle links abbiegen! Good luck, meint er noch lakonisch. Und tatsächlich, ein kleines, handgemaltes Schild weist uns den Weg. Und so gelangen wir über eine teils abenteuerliche Piste auf die Passhöhe, wo wir sehr ruhig mitten im Wald nächtigen können.
Am anderen Morgen gelangen wir durch ein Skigebiet, in dem momentan fleißig gebaut wird, an der anderen Tunnelröhre vorbei nach Kolašin.
Unser nächstes Ziel ist die Tara-Schlucht. Mit einer Länge von 78 Kilometern und einer Tiefe von stellenweise über 1300 Metern ist sie damit einer der längsten und tiefsten Canyons Europas. Neben der Colorado-Schlucht in den USA, dem Colca-Tal in Peru, der Barranca del Cobre in Mexiko und einigen asiatischen Schluchten gehört sie zu den größten der Welt. Obwohl es nicht mehr regnet, dürfte das Wetter dennoch besser sein, denn dann käme die grandiose Landschaft noch viel besser zur Geltung. Das gilt auch für die große Đurđevića-Tara-Brücke. Die 350 Meter lange Bogenbrücke überspannt die Tara immerhin in maximal 150 Metern Höhe.
Mit dem Durmitor-Gebirge wartet ein weiteres montenegrinisches Highlight auf uns. Eine schmale, jedoch sehr gut zu befahrende Asphaltstraße führt uns mitten durch die beeindruckende Felslandschaft. Es ist kühl und windig, aber trotzdem lässt sich die Schönheit des Gebirges, das immerhin 48 Gipfel mit mehr als 2000 m Höhe zählt, erahnen. Immer wieder müssen wir einen Fotostopp einlegen, auch wenn die Lichtverhältnisse nicht gerade optimal sind. Auch am Ende der Strecke werden wir mit grandiosen Aussichten verwöhnt. In engen Serpentinen, die oft durch einfach in den Fels gehauene Tunnel verlaufen, führt die Route hinunter zum Piva-Stausee, dessen Wasserstand momentan relativ niedrig ist.
Morgen wollen wir nach Bosnien-Herzegowina weiter reisen. Was uns wohl dort erwartet?